Pflicht zu hoffen

Warum ich mir keine Hoffnungslosigkeit leisten kann

von Abdulrahman Alshalaby 

Es fallen nicht selten im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik Begriffe wie Motivations- und Hoffnungslosigkeit. Dieser Fakt erscheint insofern verblüffend, als viele der Geflüchteten stets angeben, mit aufstrebenden Zukunftsvorstellungen mit Blick auf Frieden, Religionsfreiheit, Freiheit und Demokratie nach Deutschland gekommen zu sein.
Einerseits erlebe ich bei vielen Geflüchteten individuelle Leistungsbereitschaft sowie die Bemühungen, sich mit der neuen gesellschaftlichen Wirklichkeit auseinanderzusetzen und zurechtzufinden, andererseits weiß ich, dass diese Bemühungen durch äußere Umstände wie Bürokratie, hohe Hürden, geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche sowie medial negative Begleitung der sogenannten Flüchtlingskrise konterkariert werden, was das Aufkommen von Motivations- und Hoffnungslosigkeit ganz gewiss begünstigt.

Nun betrachte ich meinen Bekanntenkreis, bestehend primär aus Menschen deutscher Herkunft, so stelle ich fest; Hoffnungslosigkeit ist kein Spezifikum der Lebenssituation von Geflüchteten, vielmehr stellt sie ein Phänomen dar, wovon augenscheinlich viele Menschen hierzulande erfasst zu sein scheinen. An einem Satz manifestiert sich meines Erachtens diese Hoffnungslosigkeit, die ich meine: „Hoffentlich bleibt alles so, wie es ist“. Jedes Mal, wenn ich solche Sätze höre, bin ich vom Staunen ergriffen und denke mir, man muss sich doch leisten können, nichts Besseres zu erhoffen als das, was man bereits verwirklicht hat. Demnach hat man schon viel zu verlieren, weshalb man vermutlich dazu geneigt ist, sich daran festzuklammern, sich über jede Kleinigkeit zu beklagen und vermeintliche Katastrophen heraufkommen zusehen. Geht es manchen von uns vielleicht dermaßen gut, dass sich deren Hoffnung lediglich darauf beschränkt, alles so zu erhalten, wie es schon ist? Ist es ein Charakteristikum unserer Welt, in die ich erst vor ein paar Jahren eingetreten bin, Menschen hervorzubringen, die es schaffen, ohne Hoffnungen leben zu können?
Dieser eine Satz gehört eben zu den Sätzen, die meiner Lebensphilosophie radikal widerstreben, denn ich möchte nicht alles so beibehalten, wie es ist; ich habe nämlich Hoffnung auf eine gerechtere und friedlichere Welt. Ich habe Hoffnung auf ein geordnetes Leben, auf berufliche Perspektive, auf politische Partizipation und soziale Teilhabe. Und diese Hoffnungen halten mich bei der Stange, verhelfen mir zur Überbrückung jeglicher Unzumutbarkeit und lassen mich ausharren, auch wenn die Gegenwart nicht handhabbar zu sein scheint. Nun mag die Feststellung skurril klingen, dass sich all diese Hoffnungen, welche ich hege, aus der Anklage dessen ergeben, dass es vieles auf unserer Welt gibt, das unbedingt der Verbesserung oder Beseitigung bedürfte. Nun wäre es gewiss egoistisch, nur für sich selbst zu hoffen. Deshalb beziehen sich diese Hoffnungen keinesfalls nur auf mich selber, vielmehr geht es dabei um Gerechtigkeit für alle, um Wiedergutmachung für Unterdrückte, um Heilung für Leidende, um Befreiung für Gefangene und um Gemeinschaft für Marginalisierte. Es sind einfach Hoffnungen, die zwar enttäuscht werden können, aber mich trotzdem lebendig machen, zum Engagement herausfordern und davon abhalten, mich mit einer Welt abzufinden, wie sie heute ist. 
Ein weiterer Satz, den ich ständig zu Gehör bekomme, lautet „wir können eh nichts machen, wir können sowieso nichts daran ändern“. Dieser Satz scheint mir nicht nur sehr bedenklich und resignativ, sondern er ist meiner Ansicht nach einer der gottlosesten Sätze, die es je geben könnte. Denn wir können uns nicht aus der Zumutung entlassen, eine Mit-Welt zu gestalten, diese zu verbessern und einen Entwurf zu machen, von dem aus wir unsere Gegenwart korrigieren können. Eine dieser Hoffnungen, wofür ich mich voll und ganz einsetze, besteht darin, eine Welt mitzuerleben, die den Krieg beseitigt hat und keinen Hunger mehr kennt. Und wenn wir diese Hoffnungen weiterhin nähren, wenn wir einander aufheben und aufrichten und wenn wir endlich den Mut aufbringen, zu überschreiten, was gegenwärtig ist, dann wird sich diese Hoffnung in greifbarer Nähe erfüllen können.

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