Kempten ist vielseitig

20. 01. 2019

Kempten ist vielseitig

von Lajos Fischer, Gaby Heilinger und Sami Ibrahim

In der Bundesrepublik haben 19,3 Millionen Menschen einen Migrationshintergrund. Diese Personen oder mindestens ein Elternteil von ihnen sind nicht mit einer deutschen Staatsangehörigkeit geboren. Sie machen 23,6 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. In Bayern liegt die Quote bei 23,8 Prozent. In Kempten hatten am 31.12.2017 26.061 Menschen einen Migrationshintergrund, also 37,1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Wenn man die unter 15-Jährigen anschaut, liegt die Quote bei 57,0 Prozent.
Das Bayerische Landesamt für Statistik geht in seiner im Dezember 2018 veröffentlichten Bevölkerungsvorausberechnung bis 2037 bei der kreisfreien Stadt Kempten davon aus, dass die Bevölkerungszahl stabil bleibt, also im Vergleich zu der jetzigen Situation keine großen Veränderungen zu erwarten sind. Voraussetzung dafür sei eine weitere kontinuierliche Zuwanderung aus dem Ausland, aber auch aus dem Umland und aus anderen Bundesländern.
Wir sprechen über mehr als ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt, diese Menschen darf man nicht einfach in die gleiche Schublade stecken. Wenn man die 2015 beschlossenen Neuen Strategischen Ziele der Stadt Kempten bis 2030 im Kapitel "Zusammenleben aktiv gestalten" anschaut, wird der Fokus vor allem auf die Zuwanderer gelegt, die integrative Maßnahmen und eine Begleitung brauchen. Auf die Mehrheit, die längst integriert ist, sich trotzdem nicht immer oder nicht immer ganz dazugehörig fühlt, wird wenig eingegangen. Viele von uns fragen sich: Wieso machen Menschen mit Migrationshintergrund, ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend, nicht ein Drittel der Parteimitglieder, der Stadträt*innen, der Mitarbeiter*innen in der Stadtverwaltung, vor allem in Führungspositionen, aus? Warum gibt es keine konkreten Strategien, um das zu ändern? Warum wird dieser Missstand in der örtlichen Presse nicht an prominenter Stelle thematisiert? Warum bekommen die Leistungen der Menschen mit Migrationsgeschichte nicht die nötige Aufmerksamkeit und Anerkennung? 
Mit unserem interkulturellen Magazin "Kempten ist vielseitig" möchten wir dazu beitragen, dass die Vielfalt in unserer städtischen Gesellschaft sichtbarer wird. 
Das Jahr 2018 hat uns ganz besonders vor Augen geführt, dass die Kraft vieler demokratischer Akteure erschöpft zu sein scheint: Statt unsere Demokratie durch neue Ideen zu stärken, wurde oft nur noch die Notwendigkeit der Verteidigung des Erreichten wiederholt. Das Erstarken der Feinde der Demokratie nahm man resigniert in Kauf. Manchmal wurden die Antidemokraten sogar dadurch gestärkt, dass manch einer aus der politischen Mitte versuchte, damit zu punkten, dass er ihnen nach dem Munde redete. Wir wissen, dass die Kommunen die Basis der Demokratie bilden. Wir wissen auch, dass gerade Menschen mit Migrationshintergrund viel zu ihrer Neugestaltung beitragen können und auch wollen. Die Motivation ist sehr groß: Viele haben, manche sogar mehrmals, ihre Heimat aufgeben müssen und in der deutschen Demokratie eine neue gefunden, was eine große Leistung, viel Lernbereitschaft und eine hohe Flexibilität erforderte und ein friedliches Zusammenleben ermöglicht. Die Feinde der Demokratie versuchen gerade auf dem Rücken der Einwanderer die Gesellschaft zu spalten, was wir nicht zulassen dürfen. Deswegen lassen wir auf diesen Seiten die Menschen zu Worte kommen, die ihre Ideen für unsere Stadt einbringen und sich für eine bessere Welt und für die Stärkung des gesellschaftlichen Friedens einsetzen wollen.
Eine Stadtgesellschaft, in der über ein Drittel der Bürger*innen einen Migrationshintergrund hat und die u.a. dank der weiteren Zuwanderung stabil bleiben und vielleicht sogar wachsen kann, können wir ohne jeden Zweifel als eine Einwanderungsgesellschaft definieren. Wenn wir das akzeptieren und unsere demokratischen Strukturen auf dieser Basis weiterentwickeln, bekommen wir einen ähnlich positiven Effekt wie vor hundert Jahren durch die politische Integration der Frauen: Eine stärkere, vielseitigere, innovativere und stabilere Demokratie entsteht. Diese braucht aber genauso eine neue "große Erzählung" mit vielen überzeugenden persönlichen Geschichten. Unser interkulturelles Magazin bietet auch für dieses neue Narrativ eine Plattform.
Natürlich werden wir auch auf Informationen Wert legen, die die Integration von Neuzuwanderern und ihr Zurechtfinden in einer zunächst oft sehr fremden Welt erleichtern sollen. 
Wir verfügen über keine finanziellen Mittel, um ein professionell aufgebautes und aufwändig gestaltetes Magazin ins Leben zu rufen. Wir sind auf Beiträge aus der Zivilgesellschaft angewiesen und unser Ziel ist es natürlich auch, möglichst viele von den eingesandten Texten zu veröffentlichen. Wir werden auch Blogs starten, um eine offene Diskussion anzuregen. Wir sind offen für jede Meinung, die die Voraussetzung der "demokratischen Sittlichkeit" im habermasschen Sinne erfüllt.  Wir freuen uns auch, wenn - natürlich nach vorheriger Absprache - die professionellen Medien unsere Beiträge übernehmen oder/und sich bei uns Inspirationen holen würden. 
Wir freuen uns auf zahlreiche Leser*innen und Mitwirkende! Wir sind allen dankbar, die auf unser neues Angebot auch andere hinweisen. Wir wünschen uns einen guten Start!
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